Sommer in Südmähren (1/2) 20 B.
#1
Ein schönes Sommerwochenende steht bevor. Eine Exkursion nach Südmähren und eine Begegnung mit einem typenreichen Zugbetrieb im Jahr 1995, mit ganz ganz viel Landschaft und noch viel mehr Kultur. Von Brno nutzen wir den Triebwagen-Eilzug 13:06, bespannt mit einem 850er, steigen in Hrušovany nad Jevišovkou in den 1988 gebauten 842002.

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01  Vor Novosedly werfen wir einen Blick ins Kursbuch, wenden dann unseren Blick vom Kursbuch weg und hin auf die in der Ferne auftachende Pálava. In Novosedly begegnet der Prototyp seinem besten Freund (welche Nummer wird das gewesen sein?). Die 5 Minuten Kreuzungsaufenthalt reichen für das Belegfoto und ...

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02  ... einen Tagesstempel.

Bis 1930 gab es von hier noch eine geradlinige Lokalbahnverbindung nach Laa an der Thaya, die seit Dezennien bereits abgebaut ist.
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03  Fahrplan 1912 [1]
Der austriakische Teil von Laa bis Zellerndorf ist heute im sanierten, betriebsbereiten Zustand und wird als Ersatzstrecke vorgehalten. Zu einer Rückkehr des Personenverkehrs - und sei es nur in Form von Saisonverkehr - ist es seit der Einstellung 1988 nie gekommen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnstreck...ellerndorf

https://mapy.cz/s/recotedaka  Kartenausschnitt Mikulov, Laa, Novosedly, Hrušovany
https://mapy.cz/s/kokumudesa Kartenausschnitt Břeclav, Lednice, Valtice

Nach Ankunft in Břeclav, Durchschreiten der kommerziellen Zone und dem Queren der Thaya erreichen wir die kulturhistorischen Elemente der 25000-Einwohner-Stadt. 1841 entstand hier mit den Strecken nach Brünn, Wien und Prerau der erste Abzweigbahnhof im Habsburger Reich. Die Bahn nach Znojmo entstand 1872, die nach Kuty erst 1900 und als letzter Strahl des Bahnsterns die Lokalbahn nach Lednice 1901. Industrialisierung und Einwohnerentwicklung folgten dem Bahnbau, folgerichtig wurde die Gemeinde 1872 zur Stadt erhoben. Břeclav war immer mehrheitlich tschechischsprachig. Das war kein Hinderungsgrund, das die Stadt aus strategischen Gründen per Münchener Abkommen dem Deutschen Reich zugeschlagen wurde.

[Bild: 021995-07-08breclav2d3kw6.jpg] [Bild: 1995-07-08breclav12fjyp.jpg]
04  05  Die Synagoge, heute Stadtmuseum und das Schloss, beide 1995 in reko-würdigem Zustand, die Dächer haben eine Sanierung bereits hinter sich.

In Boří Les erwarten wir den nächsten Zug.
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06  Es ist wieder unser Prototyp. Der mir vom Chefadvokaten zugesendete Fahrplan der Strecke bestätigt den Regelbetrieb für 1995, aber von November bis März wurde Lednice nur sonntags mit einem einzigen Zugpaar  (an/ab 19:13/19:20) bedient.

[Bild: fahrplan1968clklg.jpg]
07  Beispielhaft für den bis 1991 gültigen täglichen Regelbetrieb der Fahrplan 1968/69. Die deutsche wikipedia meint, dass ob Kapazitätseinschränkungen und starken Güterverkehrs der Personenverkehr von 1978 bis 1988 eingestellt gewesen sei. Das erschließt sich nicht, die vorliegenden Kursbücher der 1980er zeigen täglichen Triebwageneinsatz, auch ist der annotierte Güterverkehr unerklärlich.

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Die folgenden Bilder zeigen Bahnhofsszenen in Lednice.
[Bild: 04lednice2ljk85.jpg]09
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[Bild: x1sjjzj.jpg]11[Bild: 051995-07-08842002sck1v.jpg]12
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Bild 14 zeigt den TW 810097-6 im September 1997 als ich gemeinsam mit dem Chefadvokaten eine bahn- und kulturtechnische Reise nach Lednice unternahm.

Die Gemeinden Poštorna (Unter-Themenau) , Charvatská Nová Ves (Ober-Themenau), Hlohovec (Bischofswarth) und Valtice (Feldsberg) gehörten bis 1920 zu Österreich bzw. zum späteren Bundesland Niederösterreich, dabei war Hlohovec mehrheitlich tschechisch. In der Auseinandersetzung mit der neugegründeten Republik Österreich konnte sich die Tschechoslowakei – auf der Seite der Siegermächte stehend – durchsetzen und erhielt nach dem Vertrag von Saint-Germain das Feldsberger Gebiet mit den Bahnstrecken nach Mikulov und Lednice zugesprochen. Für die gewesenen deutschen Niederösterreicher dürfte die Aussiedlung nach 1945 extrabitter gewesen sein, da sie per historischem Zufall 1920 tschechoslowakische Bürger deutscher Nationalität geworden sind und als solche nun kollektiv die Zeche für einen verlorenen Krieg und das nazistische Protektorat zu zahlen hatten. Eiferer und Nazis wird es aber auch in Feldsberg gegeben haben.

Am Ende des 16. Jahrhundert transferierten die örtlichen Aristokraten kroatische Familien in das Feldsberger Gebiet, was den abweichenden Ortsnamen, kulturelle Eigenheiten (und die kunstvoll gestalteten Bahngebäude in Lednice und Poštorna) erklärt.
Im 18. und 19. Jahrhundert wurde das Wald- und Teichgebiet in der Thaya-Aue von der Herrschaft Lichtenštejn/Liechtenstein zu einer unikaten romantisch-idealen Kulturlandschaft umgearbeitet. Das gesamte Areal ist seit 1996 Teil des UNESCO-Welterbes.

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Das neugotische Schloss  Lednice ist Staffage des lettischen Märchenfilms aus dem Jahre 1985 „Märchen vom Däumling“. Auf der Schlossterasse lässt der  „Malíček“ (Ronalds Neilands) im fulminanten Finale mit seiner magischen Flöte den tschechischen Gott-sei-bei-uns  (Miloslav Horáček) bis kurz vorm Herzinfarkt auf- und niederhüpfen, so dann der Teufel mit seinen apokalyptischen Vasallen Reißaus auf vorerst  Nimmerwiedersehn nimmt und die korrespondierende Prinzessin in der nächsten Zeit keine Angst mehr vor einer Zwangsverheiratung mit Ellermutters Enkel zu haben braucht.
Aus den Bildern leiten wir die 1,5 km lange Sichtachse vom Schloss zum Minarett ab. In Mitteleuropa kennen wir einige Bauten im orientalischen Stil aus dem 18. bis 20. Jahrhundert, die nichtislamischen Zwecken dienten, also Bauten, die romantischen Empfindungen entsprangen und/oder technischen, unternehmerischen Lüsten und Zwecken dienten. Mir fällt neben Lednice spontan das Kraftwerk Sansoussi, die Yenidze Dresden und die Blaue Moschee in Maxen (Lust- und Gartenhaus). Wer bietet noch was dazu?
https://de.wikipedia.org/wiki/Minarett_(Lednice)

Nach einem langen Streifzug durch Teile des riesigen Landschaftsparks und  notwendiger  Energieaufnahme verlassen  wir Lednice südwärts.

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19  Vom Bahndamm *) zwischen dem Mittleren und dem Mühlteich entstand diese Aufnahme zum Apollotempel.
*) hier ist auch der Haltepunkt „rybníky“ situiert

[Bild: 1995-07-09bigkzk.jpg]
20  In der Nähe der drei Grazien finden wir ein kommodes Wiesenstück, wo wir nach Eintreffen genügender Dunkelheit uns zur Ruhe legen. Die Sommernacht ist so angenehm mild-warm, dass die üblichen Attribute einer blanken Nachtlage ausbleiben, die da im allgemeinen sind, frösteln ab kurz nach Mitternacht, kurze Schlafphasen und Tauablage, Klamottenfeuchte mit der Morgendämmerung. Schon gegen 6 Uhr tauchen wir kurz im Teich ab und wandern in den Sommermorgen hinein nach Valtice.

Den Sonntag gibts später, vorbehaltlich meine Schreibmaschine hält noch mit den notwendigen Funktionen durch.

Grüße von astrachan
Bilder und Texte von astrachan

[1] Österreichisches Kursbuch Jänner Februar 1912 Offizielle Ausgabe Druckerei- und Verlags-Aktiengesellschaft Wien VII
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  • 2613, aw1975, bahnsachse, Der Muldentalbahner, DGL, Jens Klose, PKP-ST44, rich810, Sören Heise, Spejbl, thsr
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