Interview mit einem Tramfahrer in Prag (m. 1 Link)
#1
Guten Nachmittag werte Leser,

dann versuche ich mich auch mal an einem der Interviews - Beitrag vom 26.12. - "Das Schwierigste ist, sich damit abzufinden, dass Sie jederzeit der Idiot sein können, sagt der bekannteste Tramfahrer".

Josef Chodounský versucht mit der Aufklärung in den sozialen Netzen den Menschen zu erklären, was die Arbeit des Tramfahrers bedeutet.

In Tschechien gibt es ggw. keinen bekannteren Tramfahrer. Dreißig Jahre steuert Josef Chodounský Straßenbahnen durch Prag und sagt selbst, dass ihm diese Arbeit auch trotz alles Negativem mehr und mehr gefällt. Auf seinem Blog, dem YouTube-Kanal und Twitter veröffentlicht er regelmäßig Beobachtungen aus der Arbeit des Fahrers. In der Kategorie "One (Wo)man show" bei der Umfrage "Křišťálová Lupa" war er dieses Jahr auf dem 5. Platz. Das Wirken in den sozialen Netzen begann er als Aufklärung zu nehmen, damit die Arbeit des Tramfahrers besser als bisher wahrgenommen wird.

Waren die Trams ihre Passion seit der Kindheit oder sind sie eher zufällig zu ihnen gelangt?
Das war ein bissel ein Umweg. Auf dem Gymnasium in Sedlčany hat mir die Erdkunde sehr gefallen und ich ging nach Prag Geografie studieren. Mein großes Hobby waren Landkarten, und so habe ich Prag durch sie kennengelernt, ich wusste die Linienführungen. Als ich nach Prag studieren kam, traf ich mich mit Leuten von "Pražskétramvaje.cz". Dort hat die Leidenschaft begonnen. Wenn ich mich damals mit jemandem vom Bus oder von der Metro getroffen hätte, hätte ich mich vielleicht ihnen gewidmet.

Wie lange haben Sie studiert?
Man hat mich nach einem Semester aus der Geografie geext, ich habe die Mathematik nicht beherrscht. Dann bin ich zur Tschechischen Landwirtschaftsuniversität gegangen und im zweiten Studienjahr habe ich die Schule freiwillig verlassen und habe begonnen Trams zu fahren.

Was haben die Eltern zu Ihrer Entscheidung das Hochschulstudium zu beenden gesagt?
Die Eltern waren zuerst enttäuscht und es war für sie ein Schock,dass ich die Hochschule verlassen habe. Mit zeitlichem Abstand denke ich, sind sie froh, dass ich etwas mache, das mir Spaß macht und mich erfüllt und ernähren kann.

Hatten Sie irgendwelche Probleme die Berechtigung für das Führen der Tram zu erlangen?
Das Erlangen der Bescheinigung ist nicht kompliziert, es ist ein klassischer Dreimonatskurs. Ein bissel Probleme hatte ich mit dem psychologischen Tests, für die Psychologin war ich noch ein bisschen jung. Aber letztlich kam ich durch. Rückblickend gebe ich zu, dass ich unreif und ein wenig ungeschickt war.

Eine ganz laienhafte Frage: ist es einfacher eine Tram oder ein Auto zu  fahren?
Mit etwas Übertreibung sage ich, dass sie zum Fahren einer Tram ein fünfjähriges Kind schicken können. Aber nur bis Sie mit dieser 40 t schweren Maschine außerhalb des Depots in den Prager Verkehr fahren. Es gibt Fälle, dass die Leute nach der ersten Fahrt den Kurs verlassen. Für viele Menschen ist das sehr stressig, sie leben in unaufhörlicher Angst vor einem Unfall. In meiner Gruppe war ein Lkw-Fahrer, der nach der ersten Fahrt lieber einpackte.

Der Stress im Betrieb ist also bei der Arbeit des Tramfahrers das Schwierigste?
Für mich nicht. Für manchen sind es die Prüfungen der Linienführung. Für mich persönlich war das Schwierigste sich damit zu vereinbaren, dass ich immerfort als Idiot da stehe. Und auch wenn ich alles so machen werde, wie ich soll, so findet sich immer jemand, der mich beschimpfen wird.

Denken Sie von Seiten der Fahrgäste oder von der Arbeit?
Nur die Fahrgäste. Es bricht auf uns nur von ihnen herein (bissel frei). Junge Tramfahrer, denke ich, kann das ziemlich zum Entgleisen bringen, meiner Meinung nach ist diese Kritik sehr ungerecht.

Soziale Netze als Aufklärung der Fahrgäste

Ist es tatsächlich so ein großes Problem, dass es so viele "nervende" Leute gibt?
Es reicht vielleicht einer am Tag und sie haben das einige Tage im Kopf. Bis heute erinnere ich mich noch an ein 6, 7 Jahre altes Ereignis, als ich eine aussteigende Dame in der Tür einklemmte. Ich habe absolut keine Chance es zu sehen, was in den Türen ist, was ein Fahrgast nicht kapierte. Anstelle dessen, ihr zu helfen, kam er mich anzubrüllen. Bis heute an dieser Haltestelle oft daran.

War das auch der Grund, warum Sie im Internet mit dem Blog, dem YouTube-Kanal und dem Wirken auf Twitter begonnen haben?
Ja. Ich nehme es als Aufklärung. Viele Beschwerden über uns sind überflüssig, deshalb habe ich angefangen es zu erklären zu versuchen, was wir beeinflussen können und was nicht. Mir hat viel geholfen, als ich mir eine Kamera zur Aufzeichnung beschaffte und begann Aufnahmen von der Fahrt auf YouTube zu stellen (frei). Ein Video hat ein viel größeres Echo als ein Text. Ich habe auch positive Reaktionen von Kollegen, die auf einige Probleme aufmerksam machen, von denen die Menschen nicht ahnen, dass es nicht unser Fehler ist.

Zum Beispiel?
Typisch ist eine Verspätung. Die Fahrgäste interessiert nicht, wo sie entstand, sie nehmen es als Fehler der Tram. Deshalb zeige ich im Video oft, dass ich die Verspätung z.B. wegen schlecht eingestellter Ampeln oder vielleicht wegen undisziplinierten Fahrern, die schlecht parken, kassiere. Damit die Leute wissen, wie es ist.

Wie läuft das Einsetzen auf den einzelnen Linien?
Im bin einem Depot zugeordnet und das entscheidet, wo wer fährt. Ich bin seit Beginn in Hloubětín, jetzt haben wir ein vorübergehendes Asyl in Hostivař. Schon bei der Erstellung des Fahrplans wird die Abfolge den einzelnen Depots zugeordnet, solche Linien haben wir. Oft ändert sich das aber aufgrund von Bauarbeiten / Sperrungen sehr. Diese Vielfalt ist etwas, das mir sehr gefällt. Jeden Tag ist es anders, fahre ich mit anderen Wagen.

Welche ist Ihre Lieblingslinie?
Ich mag lange Linien, die Schicht geht schnell rum . Jetzt führt bei mir die Linie 16, das sind 1 h und 20 min. Anders herum mag ich die kürzeren nicht zum Beispiel jetzt die Linie 15.

Welche ist Ihre Lieblingstram?
Ich werde wohl weiter die  Hloubětín KT8N führen. Auf ihnen habe ich begonnen, das ist meine Herzenssache. Andersrum mag ich die Tram Porsche 14T wirklich nicht.

Ich dachte, es ist nur für die Fahrgäste ein Gräuel ...
Bei ihnen stören mich die nicht drehenden Fahrwerke sehr. Jeden Bogen fühle ich im Rücken, bei vielen Bögen muss ich ggüb. anderen Trams erheblich langsamer machen, damit es mich nicht aus dem Sitz haut . Ein Paradebeispiel (frei) ist der Bogen vom nábřeží Kapitána Jaroše zum Strossmayerove naměstí. Wenn Sie dort 35 km/h fahren wie in einer anderen Tram, so haut es Sie aus dem Sitz.

Lockte Sie nicht das Fahren eines anderen Verkehrsmittels?
Das Tramfahren befriedigt mich vorerst maximal, ich würde sagen von Mal zu Mal mehr. Ich habe keine andere Beschäftigung gefunden, die mir so zusagen würde. Sicher würde mich eine Lok reizen, aber nur um es auszuprobieren. Dort ist der Mensch ziemlich allein.

Die Tram links überholen? Schon üblich

Bus wollen Sie nicht fahren?
Sicher nicht durch Prag. Darin habe die Busfahrer meine volle Bewunderung, was sie mit Ruhe und Bravour im heutigen Verkehr zu lösen vermögen. Aber nächstes Jahr werde ich aus Prag umziehen und ich weiß nicht, wie ich das Pendeln beherrschen werde. Dann ist es möglich, dass ich mich nach der Arbeit als Fahrer eines Fernbusses umsehe.

Sie haben das Verhalten der Fahrgäste erwähnt, was ist mit den Autofahrern?
Ich denke, dass es immer aggressiver ist. Das hängt damit zusammen, dass es in Prag einfach mehr und mehr Menschen gibt und die haben es nötig sich auf den Straßen irgendwie durchzusetzen.  Sie erlauben sich, was früher fast überhaupt nicht versucht wurde. Z.B. die Tram links zu überholen. Früher haben wir das eine außergewöhnliche Sache genannt, heute ist es fast Standard.

Kürzlich haben Sie sich in eine Diskussion eingebunden, ob auf jeder Halteststelle zu klingeln ist. Warum denken Sie, dass man zu viel klingelt?
Es wäre gut, wenn darüber jemand nachdenken würde und es dazu einheitlichere Regeln gäbe. Früher musste man es überall, aber ich bin kein Verfechter dessen. Ich denke, dass es der Situation entsprechen sollte. Wenn man auf eine Menschengruppe losfährt, so sollte man klingeln, aber bestimmt nicht um 3 Uhr morgens an einer Endhaltestelle. Früher hat man das kontrolliert, und zu mir kam dereinst eine Kontrolle, dass ich um 6 morgens bei der Abfahrt aus der Haltestelle nicht geklingelt habe.

Den größten Boom der Aufmerksamkeit erlebten Sie letztes Jahr vor den Feiertagen, als sie ein Video veröffentlichten, wie sie einen britischen Knaben retteten, der verzweifelt die Gleise entlang lief, und sie brachten ihn zu seinen Eltern. Wie waren die Reaktionen?
Die überwiegende Mehrheit positiv, es kamen nur zwei solcher seltsamen. Aber ich habe nichts Negatives aufgenommen (?), die Arbeit als Tramfahrer hat mich gelehrt, die negativen Sachen nicht an sich ran zu lassen. In den sozialen Netzen kommt es zupasse, sie sich nicht zu Herzen zu nehmen. Viele Kollegen haben mir gedankt, dass ich das veröffentlicht habe, dass ich die Arbeit des Tramfahrers von der guten Seite gezeigt habe.

Bei keinem anderen Verkehrsmittel sind so viele Frauen beim fahren zu sehen. Womit erklären Sie das?
Ich bin darob froh, dass bei uns ihrer so viele fahren. Der DPP versteht es den Menschen sehr darin entgegen zu kommen, was sie von der Arbeit fordern, somit besonders bzgl. der Schichten. Ich denke es kommt den Frauen entgegen, das sie bei Kindern bis 15 Jahren die Garantie auf dem Einsatz in der Frühschicht haben. Die Arbeit ist körperlich nicht anstrengend, im Führerstand sind sie sicher. Finanziell ist es, denke ich, sehr gut bewertet, es gibt kein niedrigeres Gehalt als das die Männer haben. Böse Zungen könnten behaupten, dass sie nur Zahlen sind und niemanden interessieren. Ich nehme das als positiv, dass ich oft nur eine Zahl bin und brauche keine extra Vorteile.

Es hat mich beschäftigt, dass Sie mit Krawatte fahren. Nach der Bekleidung anderer ist das offenkundig keine Forderung in den Vorschriften des DPP.

Das steht nicht in der Vorschrift. Ich fahre seit Beginn so, ich nehme das als Standesehre. Ich fahre mit ihr auch bei der größten Hitze.


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Grüße vom

Prellbock
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#2
Ein sehr guter Beitrag dem ich nur die volle Zustimmung geben kann. Ich selber arbeite seit 1985 in einem Verkehrsbetrieb und beobachte dadurch auch meine Kollegen bei Besuchen in anderen Städten und Ländern natürlich. Besonders der Punkt der Pünktlichkeit ist doch überall der gleiche, ob nun bei der großen Bahn oder dem ÖPNV, der Fahrgast sieht nur das "sein" Verkehrsmittel zu spät kommt, wieso - warum ist Ihn egal. Ich glaube aber auch das YT-Filme dagegen nicht helfen weil der "normale" Fahrgast sich dieses nicht ansehen wird.
Danke für die Übersetzung.
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