Rückblick auf das tragische Unglück von 1960 bei Stéblová (m. 1 Link)
#1
Guten Nachmittag werte Leser.

ich bin ja in der tschechischen Eisenbahngeschichte nicht sonderlich bewandert, so dass der nachfolgend behandelte Fall mir regelrecht unbekannt war. Daher war nach dem Überfliegen der ersten Absätze klar - hier musst Du mal richtig ran. Und da ich jetzt damit durch bin, kann daran auch die Leserschaft teilhaben. Darauf gestoßen bin ich bei CT24.

Link zu CT24

(Hinweis - ich habe im Text aus dem "Helfer" den "Heizer" gemacht).

In den Trümmern des Zuges und in den Flammen kamen 118 Menschen um. Die Tragödie bei Stéblová warnt auch nach 60 Jahren

Ein unfassbares Zusammenspiel von Zufällen und eine große Nachlässigkeit führte zum Zusammenstoß zweier Züge, der bis heute das Schlimmste bleibt, was sich jemals auf tschechischen Boden bei der Eisenbahn ereignete. Beim Zusammenstoß der zwei Züge, einer mit einer wuchtigen Dampflok an der Spitze, der Zweite aus leichten VT gebildet  und bei dem Feuer, dass direkt nach dem Unfall ausbrach, kamen 118 Menschen um Es war der Vorabend des 14.11.1960 und es ereignete sich die Tragödie bei Stéblová.

Zwar begann man in den 50er Jahren auf den Eisenbahnstrecken in der ČSSR Hand und Hand mit der Elektrifizierung neue Sicherheitstechnologie nachzurüsten, aber es betraf anfangs nur die wichtigsten Strecken in der Republik. Die, deren Bedeutung nur ein bisschen kleiner war, vertrauten ausschließlich auf die Menschen und deren Aufmerksamkeit. Nicht, dass es auf ihnen keine Signale gegeben hätte, aber es kam vor, dass die Lokführer sie übersahen. Nicht, dass es auf den Bahnhöfen keine Fahrdienstleiter gegeben hätte, aber auch sie konnten einen Fehler machen. Und so ereigneten sich die Unfälle. Trotzdem zeigte das, was am 14.11.1960 in Stéblová geschah, eine endlose Nachlässigkeit und Unachtsamkeit einer großen Anzahl von Menschen.

Was ist damals geschehen? Um 17:42 stießen am Strecken-km 8,099 (laut einigen Quellen 8,055) zwei Personenzüge zusammen. Der Zug Nummer 608 fuhr von Liberec nach Pardubice und war aus der Dampflok 354.7128 und 12 Wagen, von denen einer 1 Güterwagen, einer 1 Postwagen und einer 1 Dienstwagen, gebildet. Der entgegenkommende Triebwagenzug (bissel frei) fuhr von Pardubice nach Hradec Králové, in bildeten zwei VT der Reihe M131.1, unter den Menschen als "Hurvineks" bekannt, (vorn M131.1272, hinten M131.1327) und 4 Beiwagen zwischen ihnen.

Beide Züge, der 608 und 653, stießen bei der Gemeinde Stéblová ca. 1,5 km südlich vom Bahnhof Stéblová zusammen. Die Strecke ist hier gerade, bis weiter nach Süden Bögen beginnen, mit denen sie dem Teich ausweicht, aber an diesem Abend war sehr schlecht zu sehen - es war dunkel und vor allem neblig. Die Lokführer erblickten sich auf etwa 60 m. Dem Anschein nach versuchten beide zu bremsen, aber das war schon nicht mehr viel wirksam.

Beide Züge bewegten sich vor dem Zusammenstoß mit einer Geschwindigkeit um die 50 bis 60 km/h. Der Unterschied bei der Masse beider Garnituren war jedoch erheblich. Der VT an der Spitze des Zuges nach Hradec hatte eine Betriebsmasse von 16,6 t, die Dampflok an der Spitze des anderen Zuges hatte jedoch 43 t. Hinter ihr waren 12 Wagen - im Unterschied zur 6-teiligen VT-Garnitur (bissel frei). Die Folgen des Zusammenstoßes waren so beim Triebwagenzug, der auch stark besetzt war, um vieles schlimmer, darüber hinaus reisten die meisten Reisenden vorn.

Dessen Lokführer, Jaroslav Mervart, starb unmittelbar nach der Kollision mit der Lok und unmittelbar nach ihm auch weitere Menschen nicht nur im führenden VT, sondern auch in allen Beiwagen. "Bis auf den letzten VT (...) lag der Zug in Trümmern," fasste Milan Jirásek die Situation der VT-Garnitur in seiner Arbeit "Die Tragödie bei Stéblová" zusammen. Beim Dampfzug  erlitten die Reisenden im ersten Personenwagen, der zwischen dem Güterwagen und dem Postwagen eingereiht war, die schwersten Verletzungen und seine Holzkonstruktion widerstand nicht dem Druck der massiveren Nachbarwagen. Eine Reihe von Menschen in diesem Wagen hat aber auch überlebt.

Ebenfalls lebten viele Reisende in den 5 beschädigten Wagen des Triebwagenzuges. Nur dass das Unglück noch lange nicht zu Ende war. Der Lokführer der Dampflok, Miloslav Loskot, und sein Heizer mussten verhindern, dass ihnen der angeheizte Kessel explodiert, was sie durch den sogenannten Abwurf des Feuers erreichten - somit mit dem Auskippen der glühenden Kohle aus der Feuerbüchse unter die Lok. Sie wussten aber nicht, dass aus dem zertrümmerten VT Diesel ausläuft und dass er auch unter ihre Lok geflossen war. Die Trümmer des vorderen VT und des ersten Beiwagens begannen so zu brennen.

Zeugen, die vor Ort halfen - allerdings beraubten auch einige die Opfer - brachten es danach kaum fertig auszudrücken, was sie sahen: wie verletzte Menschen brannten, die sich nicht bewegen konnten, wie andere vor den Flammen weg liefen ... Die Zeitzeugin des Unfalls,  Marie Koblížková, erinnerte sich in der Reihe von ČT "Legendy záchranářství" (Legenden des Rettungswesens), wie sie versuchte einem Soldaten zu helfen, der beim Zug saß, aber der sie mit den Worten weiter schickte: "Gehen sie weg, ich habe keine Beine."


Eine weitere Zeitzeugin des Unglücks, Dagmar Trojanová, erinnerte sich wiederum, dass auch wenn sie erst mit großer Verspätung am Unfallort ankam, sie dort Körperteile liegen sah. Zu Hilfe kamen zuerst die Menschen aus dem hinteren, nicht beschädigten Teil des Zuges 608 und aus dem hinteren VT des Zuges 653, danach eilten auch die Menschen herbei, die nahe wohnten.

Die Ankunft der Rettungsdienste dauerte für heutige Bedingungen sehr lange. Erst 10 Minuten nach dem Unfall erfuhr die öffentliche Sicherheit von ihm und um eine weitere halbe Stunde später trafen die ersten ihrer Angehörigen vor Ort ein. Die Rettungsaktion dauerte über 5 Stunden, den letzten Verletzten gelang es vor 11 in der Nacht zu befreien.

Die toten Körper wurden von Soldaten aus den Trümmern weggetragen. "Sie holten die Soldaten aus der Garnison, sie gaben ihnen Rum, damit sie es überhaupt ertrugen," beschrieb der Zeitzeuge Václav Dušek die Ereignisse im November in Stéblová. Das Aufräumen der Trümmer endete am zweiten Tag vor Mittag, anschließend wurde der Betrieb wieder aufgenommen.

Stéblová – der Ort, wo sich die Züge treffen

Die Züge 608 und 653 sollten sich keinesfalls am km 8,099 treffen. Laut Fahrplan sollten sie auf dem Bahnhof in Stéblová kreuzen. Die Reise des Zuges 608 begann schon 20 Minuten nach Mittag. Langlaufende Personenzüge (und die Strecke Liberec - Pardubice war ggüb. einigen eine Kleinigkeit) waren damals in der ČSSR völlig alltäglich und stellten die billigere Alternative ggüb. den zwar schnelleren, aber zu zu zahlenden Schnellzügen dar. In Hradec Králové wechselte man dann die Zuglok.

Wie Milan Jirásek verdeutlichte, geschah das gewöhnlich nicht so, aber am 14.11. stand die Lok 354.7128 kurz nach dem Auswaschen des Kessels, das in Hradec stattfand, und hier wartete sie auch auf ihren Zug. Von Hradec Králové fuhr der aus der benannten Dampflok und 12 zweiachsigen Wagen - von denen war einer ein Postwagen, einer ein Dienstwagen, einer ein Güterwagen und die restlichen Personenwagen 2. Klasse - gebildete Personenzug ab.

Der Zug startete mit einer siebenminütigen Verspätung um 17:25. Das spielte aber bei den weiteren Ereignissen keine Rolle. Die Ursache der Verspätung war das Warten auf einen verspäteten Zug aus (bissel frei) der Gegenrichtung. Dieser wurde schon in Pardubice aufgehalten, weil er für den Wechsel (ist damit in dem Fall der "Übergang" gemeint?) auf den verspäteten Schnellzug aus Liberec wartete.

Für die weitere Ereignisse war eher die Verspätung des Triebwagenzuges 653 wichtig, der in Rosice nad Labem ungeplant 8 Minuten wartete, bis der entgegen fahrende Güterzug auf dem Bahnhof einfuhr. Erst dann fuhr er nach Norden entlang der eingleisigen Strecke aus, auf der es nichts anderes gab, um mit einem entgegenkommenden Zug zu kreuzen (bissel frei), als in Stéblová.

Stéblová ist auch heute ein sehr wichtiger Punkt auf der Strecke "Hradubice" (der Name gefällt mir). Hier beginnt (von Pardubice gesehen) der zweigleisige Abschnitt , aber in Richtung Süden besteht noch die eingleisige Strecke, so dass selbst 60 Jahre nach dem tragischen Unfall die Züge von Stéblová und Rosice nicht gegeneinander fahren können. Gleichzeitig hat Stéblová aus Sicht der Reisenden eher den Charakter einer Haltestelle mit zwei Seitenbahnsteigen, obwohl es hier ein Rangiergleis gibt und die Einmündung eines ungenutzten Anschlusses zur Sandgrube in Stéblová.

Im Jahre 1960 existierte der zweigleisige Abschnitt nördlich von Stéblová noch nicht, so dass Stéblová auf der frequentierten eingleisigen Strecke da noch ein wichtigerer Ort war. Es war aber mitnichten ein repräsentativer Bahnhof. Er hatte die gleiche Anzahl Gleise, wie heute, nur hatte er keine Seitenbahnsteige und ca, an dem Ort, wo heute die Bude für die Reisenden auf dem Bahnsteig nach Pardubice steht, stand das bescheidene Bahnhofsgebäude und in dem verrichtete der Fahrdienstleiter Dienst.

Außer ihm war in Stéblová auch ein Weichenwärter im Dienst, der für das richtige Einstellen der Zugwege verantwortlich war, darüber hinaus senkte er auch die Schranken am BÜ beim Bahnhof. In  Stéblová gab es mechanische Ein- und Ausfahrsignale, am dunklen Vorabend des Novembers beleuchteten sie Petroleumlampen, so dass so auch gut zu sehen war, ob das grüne oder rote Signal leuchtet.


Außer ihm war in Stéblová auch ein Weichenwärter im Dienst, der für das richtige Einstellen der Zugwege verantwortlich war, darüber hinaus senkte er auch die Schranken am BÜ beim Bahnhof. In  Stéblová gab es mechanische Ein- und Ausfahrsignale, am dunklen Vorabend des Novembers beleuchteten sie Petroleumlampen, so dass so auch gut zu sehen war, ob das grüne oder rote Signal leuchtet.

Das Geheimnis des grünen Blitzes

Um 17:40 hielt der Personenzug 608 in Stéblová an - er hielt erst am Ende des Bahnsteigs, so dass sich das Empfangsgebäude hinter ihm befand. Er kam auf dem ersten Gleis an und vor ihm zeigte (frei) das Ausfahrsignal "Halt". Als der Fahrdienstleiter von Stéblová, Josef Bažant (netter Nachname), sah, dass der Zug einfuhr und anhielt, ging es ins Büro, um ihn nach Čeperka zu melden und er stelle das Einfahrsignal für den Zug 653 auf "Frei". In dem Moment aber fuhr der Zug 608 aus Stéblová aus - und das obwohl der 2. Zug noch nicht angekommen war, und auch obwohl er vor sich das Signal "Halt" hatte und keinen eingestellten Fahrweg hatte.

Der Lokführer Miloslav Loskot beteuerte später den Ermittlern, dass er in dem Moment gänzlich abhängig davon war, was ihm andere signalisierten. Es war nämlich nicht nur dunkel, sondern auch neblig, so dass er nach seinen Worten weder das Empfangsgebäude noch das Signal vor sich sah. Den Zug aus der Gegenrichtung hatte er, wie er zugab, vergessen. Und so, wartete er auf nichts, als ihm der Zugführer die Abfahrt signalisierte. Weder der Lokführer noch sein Heizer bemerkten das Signal noch, dass sie sozusagen die Weiche aufschnitten, somit dass sie die Weichenzunge aufgestoßen haben, die auf das andere Gleis eingestellt war.

Die endgültige Verantwortung dafür, dass der Zug 608 abfuhr, lag beim Lokführer, aber die berüchtigte Kette der Ereignisse die zur Tragödie führte, konnte jedes beliebige Mitglied der Zugbesatzung stoppen. Übrigens geschah an diesem Tag schon etwas Ähnliches - der gleiche Zug fuhr aus Čeperka beinahe zu früh ab, bevor man alle Sendungen aus dem Postwagen entladen hatte, aber alles ging noch gut aus, weil es dem Zugführer schaffte die Abfahrt zu verhindern. In Stéblová jedoch nicht mehr.

Mit dem Unfall bzw. mit der vorzeitigen Abfahrt aus dem Bahnhof ist ein Mysterium verbunden - das Rätsel des grünen Lichts. Der Erste, der die Abfahrt signalisierte, war einer von den zwei Schaffnern , der am Zugende stand, somit am nächsten zum Empfangsgebäude. Wie kam er darauf Abfahrt zu geben? Ggüb. den Ermittlern behauptete er zuerst, dass er deutlich sah, wie im jemand aus dem Fdl-Büro, wo in dem Moment viele Leute standen, das grüne Signal der Abfahrtbereitschaft gab und anschließend die Abfahrt.

Nach der Konfrontation mit den Aussagen der Zeugen erklärte er dann: "Ich erblickte den Blitz eines matten grünen Lichts, und zwar die Bewegung des Lichts von unten im Bogen nach oben. (...) Dieses flackernde Licht, obwohl es nicht das Signal der Abfahrtbereitschaft und das Signal der Abfahrt war, nahm ich als Signal der Abfahrtbereitschaft und der Abfahrt auf."

Von der Zugmannschaft hat kein anderer das grüne Licht gesehen, aber das Signal, von dem der Schaffner dachte, dass er es sah, übernahmen sie. Dass der vermeintliche Fahrdienstleiter aus der Ferne von seinem Büro aus signalisierte, auch wenn er laut Vorschrift zum Zug kommen musste, das beanstandete niemand. Wie der zweite Schaffner erklärte, war es in Stéblová üblich, dass sich die Fahrdienstleiter nicht zum Zug bemühten und dass sie das Signal im allgemeinen nachlässig gaben.


Angesichts dessen, dass der zweite Schaffner noch der Zugführer kein grünes Licht sahen, angesichts dessen, dass der Fahrdienstleiter im Büro war, die Reisenden keine Taschenlampen bei sich hatten und die Weichenwärter am entgegengesetztes Ende des Bahnhofs standen, schien es, dass sich der Schaffner das genannte grüne Licht ausgedacht hatte - vielleicht im Bestreben zumindest einen Teil der Schuld von sich abzuwälzen. Jedoch können dazu sofort zwei "Aber" erschallen. In erster Linie hat den Schaffner etwas bewogen, dass er nach vorn die Abfahrt signalisierte - man kann kaum erwarten, dass er den Zug für nichts und wieder nichts abfertigen würde, ohne davon überzeugt zu sein, dass es ihm der Fahrdienstleiter erlaubt hat. Und vor allem, auch wenn die restlichen Mitglieder der Zugmannschaft das grüne Licht nicht sahen, es sprachen zwei weitere Zeugen davon.

Diese behaupteten, dass es sich nur um einen Blitz handelte, den sie jedoch nicht beim Verkehrsbüro, sondern direkt von der Garnitur, ungefähr von der Stelle, wo der zweite Schaffner stand. Einer der Zeugen hat jedoch später seine Aussage zurückgenommen. Der zweite Schaffner gab beim Verhör schließlich zu, dass er versehentlich den grünen Filter auf seine Taschenlampe aufgesetzt haben könnte, was das Gericht jedoch angesichts dessen, dass ein zufälliges unabsichtliches Aufsetzen des Filters auf die Lampe praktisch ausgeschlossen wurde, nicht akzeptierte.

Sie haben nachgelegt, gesandet, notiert und Fahrkarten kontrolliert, aber das Signal bemerkte niemand

In dem Moment, als sich der Zug 608 in Bewegung setzte, ließ sich der Unfall noch verhindern. In erster Linie rannte der Fahrdienstleiter dem ausfahrenden Zug nach, den der Zugführer sogar aus dem Fensterchen des Dienstwagens erblickte, er dachte jedoch, dass das ein verspäteter Reisender ist. Die Situation hinter dem Zug sollte bei der Abfahrt der Schaffner im hinteren Wagen verfolgen - somit der Mann, der angeblich das grüne Licht sah und die weiteren Ereignisse in Bewegung setzte. Nur das dieser anstelle dessen direkt begann die Fahrkarten zu kontrollieren.

Dafür, dass es dem Zug "gelang" abzufahren, ist es spezifisch, dass keiner der drei Leute, die die Signale verfolgen sollten, das getan hat. Der Lokführer öffnete den Regler sehr energisch (?), wodurch die Räder schleuderten und anstelle die Signale zu verfolgen, versuchte er die Situation durch Sanden zu beherrschen. Der Heizer wiederum legte - den Vorschriften zum Trotz - unter dem Kessel nach, er behauptete, dass der Dampfdruck sank, was bei dem heftigen Anfahren fatale Folgen haben könnte.

Die Signale und Weichen sollte aber auch der Zugführer aus dem Seitenfenster des Dienstwagens verfolgen, der jedoch nachdem er den mutmaßlich verspäteten Reisenden erblickte (in Wirklichkeit der Fahrdienstleiter), wahrscheinlich die Abfahrt in Stéblová aufschreiben ging. In einigen Aussagen behauptete er zwar, dass er das rote Licht am Signal gesichtet hat, aber er dachte sich, dass er schlecht sieht und so zögerte er, ob er den Zug anhalten soll. Als einziges Mitglied der Zugbesatzung wunderte er sich darüber, dass der VT-Zug aus der Gegenrichtung nicht auf dem Bahnhof angekommen war, aber er dachte, dass der in Rosice wartet.

Wahrscheinlich deshalb, weil die Lok alt und ihr Fahrwerk nicht in gutem Zustand war, waren sich der Lokführer und sein Heizer nicht bewusst, dass die die Weiche "aufgeschnitten" hatten, und der erhebliche Stoß alarmierte niemanden anderen im Zug.


Wenn den Zug weder (frei) das Signal, die Weiche, noch die Signale des Fahrdienstleiters stoppten und selbst der Versuch des Weichenwärters den Zug auf dem Fahrrad zu erreichen nicht half, verblieb schon nur noch eine Möglichkeit - zumindest den Zug 653 zu stoppen, der im Laufe einiger Minuten von Pardubice ankommen sollte. Der Einzige, der das tun konnte, war der Wärter auf dem letzten besetzten Posten vor  Stéblová. Dieser nahm das Telefon aber erst ab, nachdem der Zug durchgefahren war.

Fünfeinhalb Jahre für den Zugführer, viereinhalb für den Lokführer

Wenn so etwas heute passieren würde, wäre das für die Medien eines der Hauptereignisse. Analysen zur Sicherheit der Eisenbahnstrecken, Erinnerungen an andere Eisenbahnunfälle würden nicht fehlen, man würde auf jedes neue Sätzchen (?) von den Inspektoren oder von der Polizei warten.

Im November 1960 bekam die Nachricht über die Tragödie, die bis zu dieser Zeit die größte in der Geschichte der Tschechoslowakischen Eisenbahnen war und diese bis heute bleibt, einen Raum von zwei Absätzen in der "Rudé právo" mit dem Titel "Mitteilung der Regierung der ČSSR über ein Eisenbahnunglück bei der Station Stéblová". Im Februar des folgenden Jahres widmete die Tageszeitung der Nachricht von der Gerichtsverhandlung einen Absatz.

Die Informationen über ein so gewaltiges Unglück entsprachen nicht dem Ethos der nagelneuen ČSSR - die Tschechoslowakei hatte seit Juli eine neue Verfassung, die in der Präambel verkündete: "Der Sozialismus hat in unserer Heimat gesiegt!" Ein Unfall, der durch eine Reihe von Verfehlungen vieler Eisenbahner entstand - wobei man auch nicht übersehen kann, dass, als die Lok die Weiche aufschnitt, der Lokführer und sein Heizer das nicht bemerkten, weil sie sich unter dem Einfluss der unzureichenden Wartung unaufhörlich derart warf (also wohl sehr unruhig lief) - sie entsprach offenkundig nicht diesem verfassungsmäßig verankerten Ruf.

Die gesamte Besatzung des Zuges Nummer 608 wurde vor Gericht gestellt - Lokführer Loskot, sein Heizer Václav Roudný, Zugführer Antonín Snítil, die Schaffner Josef Havel und Jaroslav Kramář und der Ladeschaffner (oder was ist der "manipulant"?) Václav Madas. Den Ladeschaffner sprach das Gericht frei, den jüngeren Schaffner Kramář bestrafte es mit einer Auflage (ist das was wie "Bewährung"?). Die restlichen 4 Leute, die für die nicht erlaubte Fahrt des Zuges aus Stéblová zum Ort des größten Eisenbahntragödie in der Tschechoslowakei verantwortlich waren, mussten ins Gefängnis.

Am härtesten, sogar über das Strafmaß hinaus (recht frei), bestrafte das Gericht den Zugführer. Er ging für 5,5 Jahre hinter Gitter und weitere 5 Jahre durfte er die Funktion des Zugführers nicht ausführen. Der Lokführer erhielt 4,5 Jahre und ein Verbot der Ausübung der Funktion für 5 Jahre, der ältere Schaffner 4 Jahre Gefängnis und Verbot der Ausübung der Funktion und der Heizer des Lokführers endete für 1,5 Jahre im Gefängnis.

Die Strecke Pardubice – Hradec Králové, wo der Unfall mit den 118 Opfern geschah, durchlief schon bald danach eine auf der Elektrifizierung und der Verbesserung der Sicherheitseinrichtungen basierende Modernisierung. An das Unglück aus dem Jahre 1960 erinnerte ursprünglich ein an der Strecke aufgestelltes Kreuz. Im Jahre 2000 ersetzte es ein kleines Denkmal.


60 Jahre sind vergangen, ähnliche Unfälle passieren immer noch

Der Unfall in Stéblová war der zweite und gleichzeitig der letzte Unfall in der tschechischen bzw. der tschechoslowakischen Eisenbahngeschichte, der mehr als 100 Opfer hatte. Nur etwas weniger tragisch endete der Unfall vom Heiligabend, der sich im Jahre 1953 bei Šakvice ereignete. Damals stieß ein ausfahrender Schnellzug auf einen vor dem Bahnhof stehenden Personenzug. Die Besatzung der Lok (des Schnellzugs) war eingeschlafen, so dass sie einerseits das Signal Halt überfuhr, anderseits vor dem Zusammenstoß nicht bremste. Bei dem Unglück kamen 103 Menschen um.

Der tragischste Unfall, der sich nach dem 14.11.1960 ereignete, war der von Říkonín vom 11.12.1970, wo bei einem außergewöhnlich unglücklichen Zusammenspiel der Umstände 2 Wagen eines durchfahrenden internationalen Expresses vom Viadukt stürzten. Damals kamen 31 Menschen um.

Der schlimmste tschechische Eisenbahnunfall des neuen Jahrhunderts war im Jahr 2008 der Aufprall des Zuges auf die eingestürzte Brückenkonstruktion in Studénka, wo 8 Menschen ums Leben kamen.

Trotz der aller Modernisierung der Eisenbahntechnik kommt es immer noch zu Frontalzusammenstößen. Sehr ähnlich war in seinem Verlauf der Zusammenstoß zweier Personenzüge bei Křemže im Jahre 2018. Damals fuhr ein Personenzug entgegen dem entgegen fahrenden (Zug) gegen das Signal Halt ab und es gelang nicht sie anzuhalten. Deren Zusammenstoß ging aber ohne Opfer aus, auch wenn 18 Menschen Verletzungen erlitten haben (ohne Opfer ist hier aber kühn formuliert, auch wenn sicher Todesopfer gemeint sind).

Zwei Menschen starben jedoch dieses Jahr im Juli, als zwei Züge bei Pernink zusammen stießen. Und auch in diesem Fall hat einer der Lokführer auf der Station die vorgeschriebene Kreuzung mit dem anderen nicht abgewartet. Im Vergleich mit Stéblová musste er sich allerdings auf eine noch primitivere "Sicherung" verlassen. Aus dem Bahnhof Pernink fuhr er nicht gegen das Signal Halt aus, weil es dort kein Signal gab und gleichzeitig konnte er nicht hoffen, dass irgendein Mitglied der Zugbesatzung ihn auf den Fehler aufmerksam gemacht zu werden, da er für die Fahrt des Zuges selbst verantwortlich war.



Grüße vom

Prellbock, der so etwas nie erleben möchte
Folgende Nutzer haben sich bei Prellbock für diesen Beitrag bedankt:
  • bahnsachse, Bardotka-Fan, BerndL, ergo, jm f, PKP-ST44, Pogg 3000, Z.Z. Von Schnerck
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#2
Hart, welches unglaubliches Leid die unglückliche Verkettung von Fehlhandlungen, solch Unglücke, hervorrufen. Wie du schon schreibst, das will man nicht erleben - nicht als Opfer, aber auch nicht als Helfer oder Augenzeuge ...

(22.11.2020, 17:05)Prellbock schrieb: ... Langlaufende Personenzüge ... waren damals... alltäglich und stellten die billigere Alternative ggüb. den zwar schnelleren, aber zu zu zahlenden Schnellzügen dar. ...

zuschlagpflichtig?

Zitat:..., weil er für den Wechsel (ist damit in dem Fall der "Übergang" gemeint?) auf den verspäteten Schnellzug aus Liberec wartete.

Vlt. im Sinne von změna chodu, also Richtungswechsel bzw. (Zug-)Wende?

Zitat:"Hradubice"

Wohl das tschechische Pendant zu Halleipzig ...


Ahoj
Die Dummheit der Menschen ist vielschichtig:
Der normale Dumme hat weder Meinung noch Horizont.
Gefährlich sind die, sich eines Horizonts und der richtigen Meinung wähnend,
die ob ihrer Irrtümer, andere Ansichten schmähen
!
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#3
"zuschlagpflichtig" stimmt, zu der Zeit musste man 16 Kronen Schnellzug-Zuschlag löhnen.
Auf https://www.vlaky.net/zeleznice/spravy/7...-Steblove/ ist zu dem Ereignis auch ein Artikel erschienen.
Demnach hat der Lokführer den Heizer nach dem Zusammenstoß angewiesen, die Glut hinauszuwerfen. Durch den Zusammenstoß mit dem Triebwagen war aber Diesel ausgelaufen, der dadurch in Brand geriet und somit wurden die Unfallfolgen noch verschlimmert.
Gruß aus Weixdorf vom Bahnsteig
Seid nett zueinander  Heart
T
T
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#4
Guten Abend,

tja, ein absolut dummes Ding - wobei ich dem Lokführer den Notabwurf nicht verübeln kann ... ein Kesselzerknall hätte der Sache vor Ort auch nicht gedient, ich gehe sogar davon aus, dass das Verhalten in diesem Punkt im Wesentlichen vorschriftskonform war. Das natürlich der Kraftstoff fein verteilt im Gelände unterwegs war, dass war dann der nächste Hieb eines unbarmherzigen Schicksals ...

Grüße vom

Prellbock
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